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Ein Hauch von Dali

Kennt Ihr das berühmte Bild "Zerrinnende Zeit" von Salvador Dali? Ja? Ach, was das mit Fredi (wie wir unseren "Helden" ja nennen wollten) zu tun hat? Tjä, das war so:

Es schien ein schöner Tag werden zu wollen, wenn ich dem, was an jenem frühen Morgen im Sommer, damals, durch meine noch nicht ganz offenen Sehschlitze in mein Bewußtsein drang, wirklich trauen durfte. Klare Sicht bis zu den der  Küste vorgelagerten Inseln und eine kaum wahrnehmbare, leichte Luftbewegung, die Wind zu nennen maßlos übertrieben gewesen wäre, aus Südwest.

Ja, eine harte Nacht war es wieder gewesen. Und alles im Dienste des Kurgastes - oder genauer: der Kurgästin. So begründete ich jedenfalls mein spätes (eigentlich wäre "frühes" treffender gewesen) Heimkommen meiner  sich um meine Gesundheit sorgenden Mutter gegenüber immer, wenn sie mir wieder einmal ans Herz legte, ich solle doch endlich einmal wieder so richtig ausschlafen. Mein heranwachsender Körper brauche das noch... So hatte ich  mich also daheim bei Muttern schnell umgezogen, Frühstück fiel aus und Duschen konnte ich auch in der Schwimmeisterei - und bemerkte erstaunt, daß ich bereits vor dem Deich angekommen war und die Morgenroutine eingeleitet  hatte.

Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis die ersten Gäste innerhalb des Bades auftauchen sollten. Sicher, ein paar von ihnen würden wieder eine bis zwei Stunden vorher bereits an der noch geschlossenen Kasse anstehen, um einen  der außerplanmäßig früh zurückgegebenen Strandkörbe zu ergattern. Diese waren stets schon zu Beginn der Saison alle vermietet. Wir konnten so viele neu anschaffen, wie wir wollten, sie reichten niemals aus. Höchstens, daß  aufgrund irgendeiner familiären Katastrophe ein Strandkorbinhaber seinen Urlaub ungeplant früh abbrechen mußte und somit kurzfristig ein Korb frei wurde.

Die Zeit verging, es hatten sich erwartungsgemäß ca. zwanzig Aspiranten auf freie Strandkörbe vor dem immer noch geschlossenen Kassenhäuschen eingefunden. Ich hatte alles notwendige für die erwartete Schlacht vorbereitet und  lehnte mich in meinem Sessel zurück, um mich noch einen Moment zu sammeln, bevor der übliche Tagesablauf beginnen würde mit seinen verlorengegangenen Kleinkindern, an Muscheln im Watt aufgeschnittenen Zehen, Beschwerden über  beschmutzte Umkleidekabinen, Hitzschlägen, Sonnenbränden, Kontaktsuchenden und... und... und...

Und da war er auch schon, der erste Hilfesuchende, der in die Schwimmeisterkabine gestolpert kam. Allerdings - irgend etwas war anders als sonst. Er trug eine Badehose; das ist in einem Schwimmbad ja auch durchaus üblich. Aber  er trug sie in der Hand! Und er wendete mir auch nicht, wie es die Hilfesuchenden sonst zu tun pflegten, sein Gesicht zum Gruße zu, sondern ...eher das Gegenteil. Während ich noch verblüfft versuchte, mir darüber klarzuwerden,  was er mir damit andeuten wolle, kam schon der zweite, direkt gefolgt vom dritten und vierten Badegast in den Raum. Alle trugen ihre Badehosen, die Damen ihre Badeanzüge, in der Hand oder heruntergelassen in Höhe der Kniekehlen  und wendeten mir mit waidwundem Blick ihre Kehrseite zu. Diese wurde bei allen, einheitlich, durch einen blutigroten Ring geziert! Auch das schien mir keinesfalls normal zu sein.

Da alle diese Leute aus Richtung der Sanitärräume zu kommen schienen und ich aus dem Durcheinanderschreien nicht entnehmen konnte, was denn da eigentlich passiert sei, schickte ich einen Rettungsschwimmer "nach hinten"  um mal nachzusehen und rief über Funk die Besatzung des im Schwimmbad stationierten Rote-Kreuz-Wagens herbei, die sich umgehend um die Verätzungen, als solche wurden die roten Ringe bald darauf diagnostiziert, kümmerte und  begab mich selbst in Richtung Toiletten, da mir langsam schwante, was da wohl passiert sein könnte.

Was sich mir als Anblick bot, das überstieg meine kühnsten Erwartungen jedoch bei weitem. Die Toiletten erinnerten mich auf Anhieb an das eingangs erwähnte Gemälde von Dali. Die Brillen waren schleimig herunter getropft und  boten einen traurigen Anblick. Daneben stand jeweils ein runder Holzstab in die Ecke gelehnt, unter dem ein Büschel Borstenreste zu erahnen war. Fredi hatte wieder einmal zugeschlagen! Mir wurde schlagartig klar, wie es zu  dieser Szenerie gekommen sein mußte. Nein, nein, Fredi hatte nicht etwa seine Liebe zum Surrealismus unter besonderer Berücksichtigung der Werke von Dali entdeckt. Er hatte lediglich am Vorabend eine meiner letzten Anweisungen  ausgeführt. Und zwar so, wie er glaubte, sie verstanden zu haben.

Ich hatte ihm aufgetragen, die Toiletten gründlich zu desinfizieren. Nun war er wahrscheinlich bei seiner Lektüre seines Brockhaus noch nicht bei dem Buchstaben "D" angekommen und wußte folglich nicht so ganz genau,  was ich denn nun wohl mit diesem komischen Wort "desinfizieren" gemeint haben könnte. Aber als mitdenkender Friese, der er nun'mal war, überlegte er sich, daß seine Tätigkeit im Zusammenhang mit Toiletten ganz  bestimmt irgend etwas mit Saubermachen zu tun haben müsse. Und "gründlich" hatte ich extra betont. Aha!

Fredi war zielstrebig in den Keller gezuckelt, hatte sich seinen Eimer vollgekippt mit "Rabbasol", einem Putzmittel, welches in einer Mindestverdünnung von 1:20 zu benutzen war. Rundum auf den Kanistern waren  Totenköpfe und Symbole aufgeklebt, die auf die Gefährlichkeit dieser Flüssigkeit hinwiesen. Wir machten uns manchmal einen Spaß daraus, mit diesem Teufelszeug Steinplatten zu durchlöchern, indem wir es darauftropfen ließen. Es  schäumte kurz auf - und die Gehwegplatte hatte ein Loch.

Fredi hatte, bewaffnet mit seinem Eimer, sodann die Toiletten in Angriff genommen und das getan, was er unter "gründlich desinfizieren" verstand. Er hatte in jedem der Kabinette zur dort befindlichen Klobürste  gegriffen, diese in den Eimer getaucht und damit das Toilettenbecken inklusive der Brille gründlich eingerieben. Die Bürste hatte er danach in die Ecke gelehnt und war nach Hause gegangen. Zum "gründlich  desinfizieren" gehört schließlich auch "einwirken lassen". Tjä, und über Nacht hatte das Reinigungsmittelkonzentrat nun seine Wirkung entfaltet. Das Plastikmaterial der Brillen schmolz und tropfte an der Keramik  herunter und die Borsten der Klobürsten hielten in ihrer angelösten Form auch nicht mehr so recht in den Bohrlöchern der Stiele und waren der Schwerkraft folgend zu Boden gerieselt.

Unseligerweise hatten die Badegäste, die bereits direkt nach dem Aufstehen zur Strandkorbvermietung geeilt waren und dort inzwischen schon einige Stunden geduldig ausgeharrt hatten, in ihrem Bestreben, den Frühstückstee jetzt  endlich loszuwerden, sich nicht erst noch großartig um das ungewohnte, surrealistische Ambiente der Keramikkabinette Gedanken gemacht. Sie hatten sich drauffallen lassen ...und waren umgehend, noch aus dieser Bewegung heraus,  in die Schwimmeisterkabine gelaufen mit ihrem blutigroten, verätzten Ring auf dem Sitzmuskel.

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