© Erwin Timmerbeil (aka timmi)
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Tanz in den Mai

Es war Anfang April; am Nebentisch tagte der Stammtisch und es herrschte eine Bombenstimmung. Ein paar Tische weiter setzte sich eine Gruppe Yuppies hin und liess auch noch lautstark wissen, dass sie aus Düsseldorf kämen, um „dem Lommi“ die Ehre ihres Besuches zu erweisen. Als Herr Lommerzheim mit dem Kranz am Stammtisch ankam, hallte ihm von dort unüberhörbar die Frage entgegen: „Herr Lommerzheim, veranstalten Sie eigentlich dieses Jahr auch wieder einen „Tanz in den Mai“? So wie letztes Jahr, mit weissen Tischdecken und einer kleinen Kapelle oben im Roten Salon?“

Irritierte Blicke von rundherum. Was ist los?!? Tanz in den Mai? Sowas hat es doch bei Lommerzheims noch nie gegeben. Und wieso eigentlich „Roter Salon“?. Aber die Frage war ganz ernsthaft gestellt worden und Herr Lommerzheim anwortete auch umgehend ebenso ernst, wie üblich, mit einem kurzen, aber eindeutigen Nicken in Verbindung mit seinem berühmten Schnütchen. „Haben Sie denn noch Karten?“ kam die nächste Frage. Wieder nickte Herr Lommerzheim. ...Es musste also doch wohl etwas dran sein, an dieser „Erste Mai Feier“ beim Lommerzheim. Die Yuppies lauschten aufmerksamst dem Geschehen. Auch die restlichen Gespräche an den anderen Tischen waren verstummt.

„Dann hätten wir gerne, wie letztes Jahr auch, fünf Karten, Herr Lommerzheim!“ Und der Angesprochene antwortete, wieder ganz ernsthaft und ohne das geringste Zögern: „Das macht doch alles meine Frau; das wissen Sie doch. Da müssen Sie schon bis morgen warten;  dann ist sie auch hier.“ Sprach‘s und drehte weiter unbeirrt seine Runden. An den Tischen herrschte Verwirrung. Nur die Yuppies schalteten schnell. Flugs hatten sie ihre - damals noch recht seltenen - Handies am Ohr und organisierten den „Tanz in den Mai“ beim Lommerzheim. Einer lud Freunde zu diesem - offensichtlich ja ganz besonderen - Ereignis ein. Ein anderer instruierte seinen Gesprächspartner telefonisch, schnell und heimlich alle Karten aufzukaufen. Man hörte Gesprächsfetzen wie: „Die wohnen irgendwo in Pulheim“ ... „Da fragst Du einfach nach Lommerzheims; die sind da sicher bekannt“ ... „Kaufe einfach alle Karten, die Du kriegen kannst. Das wird bestimmt eine ganz tolle Fete!“ ... „Da werden sich die Stammgäste hier aber ärgern“ ...

Rundum ging man langsam wieder zu den normalen Gesprächen und zum üblichen Geräuschpegel über. Nur am Stammtisch war es verdächtig still geworden. Die Jungens nebenan platzten fast beim Versuch, nicht loszuprusten. Ab und zu tauchte ein hochroter Kopf unter den Tisch ab oder man tauschte einen verstohlenen Blick mit Herrn Lommerzheim aus, der so ernsthaft wie immer Bier austeilte. Ich weiss nicht mehr, wie lange es dauerte, bis der erste loswieherte - und alle anderen rundherum befreit in das homerische Gelächter einfielen. Sogar Herr Lommerzheim lächelte flüchtig herüber.

Den Yuppies wurde so irgendwann klar, dass sie sich einen Riesen-Bären hatten aufbinden lassen. Es dämmerte ihnen, dass es wohl doch keine Feier im „Roten Salon“ geben würde. Peinlich berührt führten sie eine erneute Serie von Anrufen durch, um alle soeben eingeladenen Freunde und Bekannten wieder auszuladen. Dabei kamen sie nicht darum herum zugeben zu müssen, dass sie sich hatten reinlegen lassen. Lange sind sie dann nicht mehr geblieben ...

 

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